Haushaltsrede 2023 des SPD-Fraktionsvorsitzenden Ingo Vogel

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

liebe Essenerinnen und Essener,

 

die letzte Haushaltsdebatte liegt nun etwa ein Jahr zurück. Nur ein Jahr, weil wir uns in diesem Hause einig waren, nur auf Sicht fahren zu können, angesichts der schwerwiegenden Auswirkungen der Corona-Pandemie. Wir alle hatten damals die Hoffnung, dass wir uns am heutigen Tage nicht mehr im Krisenmodus befinden würden und nicht mehr ins Ungewisse hinein planen müssten.

Irrational und brutal, anders kann man den Angriffskrieg von Vladimir Putin, von Russland auf die Ukraine nicht bezeichnen, der unsere Hoffnungen auf ein wenig Alltag, ein bisschen Normalität über Nacht zunichtemachte. Seit dem 24. Februar 2022 ist Krieg auf dem europäischen Kontinent wieder erschreckende Realität. Eine Realität, die Angst macht und an die Substanz geht. Eine Realität, der wir uns nun stellen müssen und werden, mit all ihren Konsequenzen.

Zu dieser Realität gehört leider auch, dass bestimmte Akteure Krisenzeiten allzu häufig als Möglichkeit nutzen, die Gesellschaft zu entzweien und die Menschen gegeneinander aufzuwiegeln. Sehr deutlich war dieses Bestreben während der Corona-Pandemie sichtbar, ebenso sichtbar nehme ich auch jetzt wieder Aufrufe wahr, die versuchen ein Wir gegen die Anderen zu konstruieren. Dieses Verhalten ist unschicklich, schlichtweg unsäglich. Doch viel wichtiger ist, diese Strategie wird nicht aufgehen. Diese Erzählung, die Menschen in Kategorien aufteilt, die Menschengruppen als Gefahren bezeichnet, diese Erzählung wird sich nicht verfangen.

Denn wiederholt reagieren die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt mit Zusammenhalt und Offenherzigkeit auf eine Krise, auf die Auswirkungen des Ukrainekriegs, auf den momentanen Tiefpunkt dieser schier unaufhörlichen Aneinanderkettung von Krisen. Eine Krise, in der sich unser Land als besonders verletzlich herausgestellt hat, in der die Schattenseiten von internationalen Handelsbeziehungen, von Abhängigkeiten auf dem Energiemarkt besonders schonungslos offengelegt wurden. Doch ausgerechnet in dieser Zeit, in der man im Supermarkt oder an der Tankstelle förmlich dabei zusehen konnte, wie das eigene Geld an Wert verliert, in dieser Zeit wurden Konvois mit Hilfsgütern, teilweise mitten in die umkämpften Konfliktregionen hinein, organisiert. Sofas, Betten, Gästezimmer, ganze Wohnungen wurden den geflüchteten Menschen aus der Ukraine bereitwillig angeboten und mit ihnen geteilt.

So wurde aus einem Tiefpunkt, einer Zerreißprobe, abermals ein Moment, in dem man stolz sein kann auf Essen, auf die Menschen in dieser Stadt, stolz sein kann auf die Solidarität aller Essenerinnen und Essener.

 

Wir als gewählte Vertreterinnen und Vertreter dieser Stadt haben die Aufgabe, diesen Zusammenhalt zu stärken und gleichzeitig den Bürgerinnen und Bürgern, den Menschen, die in unserer Stadt aus verschiedenen Ländern Schutz gesucht und gefunden haben, so viel Unterstützung zukommen zu lassen, wie wir können.

Insbesondere die jungen Menschen unserer Stadt haben noch immer mit den Folgen der Corona-Pandemie und den Maßnahmen zu deren Eindämmung zu kämpfen. Viele Bürgerinnen und Bürger wissen derweil nicht, wie sie den nächsten Abschlag der Stromrechnung stemmen oder den nächsten Einkauf für die Familie bezahlen sollen. Die Menschen unserer Stadt stehen vor einer Vielzahl von Herausforderungen und Problemen, die sie nicht alleine lösen können. Wir haben heute die Chance mit der Aufstellung des Haushalts 2023 den Menschen in unserer Stadt ein wenig von ihrer Last abzunehmen.

Als Kommune sind wir besonders nah an den Menschen, leider aber auch am weitesten entfernt von den großen Lösungsmöglichkeiten, den Schutzschirmen und den Energiepreisbremsen. Alles andere zu behaupten, wäre reiner Populismus, wäre eine Irreführung der Menschen. Das meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist nicht unser Anspruch an Oppositionspolitik und schon gar nicht das Ansinnen der Sozialdemokratie. Deshalb haben wir unsere Haushaltsanträge für 2023 mit finanzpolitischem Augenmaß erarbeitet, deshalb haben wir nicht alles gefordert, was eigentlich erforderlich ist.

Dabei geht es in manchen Fällen gar nicht mal darum, Hilfen auszubauen – doch ohne finanzielle Unterstützung kann das jetzige Angebot, auch vor dem Hintergrund des Zuzugs zahlreicher ukrainischer Kinder im betreuungspflichtigen Alter nicht aufrechterhalten werden. Hier wird besonders deutlich, wie sehr die soziale Infrastruktur unserer Stadt unterfinanziert, auf Kante genäht und dadurch anfällig für unerwartete Belastungen ist.

Eine Statistik der Bertelsmann Stiftung, die in diesem Gremium zwar schon häufig bemüht wurde, aber gar nicht häufig genug angemahnt werden kann, bezieht sich auf die Zahlen zur Kinderarmut in Essen. Unsere Stadt steht im deutschlandweiten Vergleich auf dem drittletzten Platz, einzig Wilhelmshaven und Gelsenkirchen schneiden noch schlechter ab. Doch Armut ist ein abstrakter und vielschichtig definierter Begriff, greifbarer sind die Folgen von Armut, die Umstände, unter denen ein Drittel der Kinder in Essen aufwächst.

In Armut lebende Kinder in Deutschland haben häufiger gesundheitliche Beeinträchtigungen, leiden unter psychischen und sozialen Belastungen, haben geringere Bildungschancen, wiederholen häufiger eine Klasse, erhalten bei gleichen Leistungen schlechtere Noten, erhalten bei gleichen Leistungen seltener eine Empfehlung für das Gymnasium – Meine Damen und Herren, diese Aufzählung geht noch viel weiter, diese Aufzählung macht wütend.

Vor diesem Hintergrund sind zu viele Projekte in der Jugendhilfe abhängig von der Zusage zeitlich begrenzter Fördermittel auf Landes- und Bundesebene. Diese Förderungen müssen wir endlich verstetigen. Die Stadtverwaltung sieht sich mit einem ständig wachsenden Fachkräftemangel konfrontiert. Trotzdem erlauben wir es uns, unabdingbare Hilfen nur in zeitlich befristeter Projektform anzulegen. Dadurch laufen uns seit Jahren reihenweise Fachkräfte weg, die wichtige Routinen und notwendiges Vertrauen aufgebaut haben. Jedes Jahr reden wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten uns in dieser Hinsicht den Mund fusselig. Doch das Einzige, was sich seither verstetigt hat, ist die Unsicherheit.

So schaffen wir Unsicherheit bei Kindern, deren Leben sowieso schon allzu häufig von Verunsicherung geprägt ist. Für diese Kinder ist es entscheidend, eine feste Ansprechpartnerin oder einen festen Ansprechpartner, eine Vertrauensperson zu haben. Wir müssen hier endlich Umdenken, wir müssen aufhören mit dem Finger auf andere Ebenen zu zeigen, wir müssen anfangen bei uns selbst anzusetzen und das für uns Mögliche umzusetzen.

Der Mehrwert, den wir mit diesen Hilfen, mit dieser Unterstützung schaffen, ist kaum zu beziffern. Wahrscheinlich ist das auch das größte Problem im Bereich der Jugendhilfe, im gesamten Sozialbereich. Anders als beim Klimaschutz oder in anderen technischen Bereichen, gibt es dort keine eingesparten Tonnen CO2, keine Gradzahlen oder Emissionswerte, die man als in absoluten Zahlen messbaren Erfolg vorweisen kann. Dabei greift hier genau das gleiche Prinzip der Prävention. Durch die Arbeit in der Jugendhilfe erhalten junge Menschen den Schutz den sie brauchen, sie werden begleitet und sie bekommen in vielen Fällen zum ersten Mal in ihrem Leben eine echte Chance.

Eine Chance, einen anderen Lebensweg einzuschlagen, als die eigenen Eltern. Eine Chance, endlich aus der Endlosschleife der Armut und Perspektivlosigkeit herauszukommen.

Die Arbeit des Allgemeinen Sozialdienstes trägt maßgeblich dazu bei, dass Kinder und ihre Eltern professionelle Beratungsangebote, Hilfen, ja in manchen Fällen auch notwendige Sicherheit erhalten. Doch, wie so häufig in diesem Berufsfeld, ist der Allgemeine Soziale Dienst chronisch unterbesetzt. Daran müssen wir endlich etwas ändern und deshalb beantragen wir 10 zusätzliche Vollzeitstellen für diesen hochsensiblen Bereich. So schwierig der Erfolg vorbeugender Maßnahmen messbar ist, so deutlich und so fatal sind die Konsequenzen, wenn Kinder keinen Schutz erhalten und wenn hilfesuchende Eltern keine Unterstützung bekommen.

Daher möchte ich an Sie appellieren liebe Kolleginnen und Kollegen, schließen Sie sich dem einstimmigen Votum des Jugendhilfeausschusses an, in dem die Expertinnen und Experten der Essener Jugendarbeit eine Stimme haben, lassen Sie uns jetzt gemeinsam handeln und den Familien in Essen die Unterstützung zukommen, die sie brauchen und die sie verdient haben.

Diese Förderung brauchen wir nicht nur in den Familien, wir brauchen sie auch in den Schulen, um jeder Schülerin und jedem Schüler trotz ungleicher Startbedingungen den gleichen Lernerfolg zu ermöglichen. Deshalb wollen wir die Schulsozialarbeit und die Sprachförderung an den Schulen gleichermaßen stärken.

Viele Kinder erleben zurzeit ihr drittes Schuljahr im Krisenmodus, in den letzten beiden Jahren wurden Sie angewiesen, die Fenster zu öffnen, Mundschutz zu tragen und Abstand zu halten, um sich vor dem Coronavirus zu schützen – Sie durften zum Teil ihre Freunde in der Freizeit nicht mehr treffen, Spiel- und Sportplätze wurden geschlossen, Familienfeiern abgesagt. Diesen Winter sind die Fenster geschlossen zu halten, die Heizungen auf eine niedrige Stufe einzustellen, Szenarien von Blackouts werden durchgesprochen. Ausgerechnet in dieser Zeit fallen die Projekte „Aufholen nach Corona“ weg, obwohl die Krisen noch lange nicht vorbei sind. Deshalb fordern wir den Oberbürgermeister auf, erfolgreiche Maßnahmen aus diesem Katalog zu identifizieren, gegebenenfalls anzupassen und neu aufzulegen.

Wenn ich mich an meine frühe Schulzeit zurückerinnere, dann war der Schulweg ehrlicherweise ab und an das Beste am ganzen Tag und manchmal sogar ein kleines Abenteuer. Man ist mit Freunden zur Schule spaziert, hat sich gegenseitig vom letzten Wochenende erzählt und ganz nebenbei auch die Gegend erkundet, wenn man ausnahmsweise mal nicht die abgesprochene Strecke gelaufen ist. Leider sieht das Bild vor den Schulen unserer Stadt heute ganz anders aus. Autos parken kreuz und quer vor dem Schulgebäude, hektisch werden die Kinder aus dem eigenen Pkw rausgelassen, denn die Schule beginnt jeden Augenblick und der Anschlusstermin wartet schon, es wird gehupt, es wird gedrängelt. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Problem ist Ihnen so bekannt, ich müsste nicht einmal das leidige Wort der „Eltern-Taxis“ in den Mund nehmen, trotzdem wüssten alle worum es geht.

Doch wir wollen niemandem den Schulweg vorschreiben und niemanden belehren. Vielmehr wollen wir attraktive Alternativen schaffen und bestehende Mängel auf Schulwegen schnellstmöglich beheben. Hier fehlt es den Schulen, aber auch den Kitas und Berufskollegs an einer Kontaktperson, die in Verkehrsfragen verlässlich angesprochen werden kann, die ebenso verlässlich die Probleme in die Hand nimmt und koordiniert. Wir möchten deshalb eine Stelle einrichten, auf die ebenso Eltern und Schülerschaft Rückgriff nehmen können. Denn wie wollen wir eine Verkehrswende einleiten, wenn wir schon unseren Kleinsten vorleben, dass das Auto die einzige oder bessere Alternative ist?

Dabei tun wir uns mit der Umsetzung der Verkehrswende in Essen ohnehin schon schwer genug. Was nicht zuletzt an einem Problem in der Kommunikation liegt. Oftmals ist für die Bürgerinnen und Bürger nicht ersichtlich, warum gewisse Maßnahmen an bestimmten Stellen im Stadtgebiet umgesetzt werden. Durch die kürzlich eingerichteten Fahrradstraßen hat es die Stadtspitze gar geschafft gleichermaßen Radfahrerinnen und Radfahrer sowie Autofahrerinnen und Autofahrer gegen sich aufzubringen. Für die Akzeptanz von Neuerungen dieser Art müssen wir daher unbedingt besseres Marketing betreiben.

Es kann nicht sein, dass das Frühstück des Oberbürgermeisters besser kommuniziert wird, als die Reallabore in Essen Holsterhausen.

Natürlich ist ein Oberbürgermeister das Aushängeschild einer jeden Großstadt. Aber Herr Oberbürgermeister, verlieren Sie dabei bitte unsere Stadt nicht aus den Augen. Wenn man sich die Seite der Stadt Essen in den sozialen Netzwerken ansieht und die des Oberbürgermeisters danebenlegt, dann ist der Unterschied der Dichte der Posts, der Qualität der Designs und die Schärfe der Fotografien schlichtweg unverkennbar. Diese Schieflage ist nicht hinnehmbar und diese Schieflage ist auch in keiner Weise gut für unsere Stadt.

Ja! die mediale Dokumentation und Begleitung von Terminen und des Tagesablaufs ist sicherlich wichtig, aber wie kann es sein, dass die Bürgerinnen und Bürger von den nahezu fertig stehenden Planungen des Bürohochhauses vor der Grugahalle aus der Zeitung erfahren müssen?, dass Sie kaum über richtungsweisende Sozialprojekte durch die verschiedenen Kanäle der Stadt Essen informiert werden?, aber sobald der Oberbürgermeister einen Spaten in der Hand hat, ist die Berichterstattung in den Medien sehr groß. Mittlerweile macht die Instagram Gruppe „Essen Diese“ fast mehr Werbung für unsere Stadt, als die über 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Presseamts, die Ihnen direkt unterstellt sind. Und das nicht, weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung so arbeiten würden, vielmehr, weil der Fokus nicht richtig ausgerichtet ist, und den Fokus, die Ausrichtung, die gibt der Oberbürgermeister vor.

Seit den 60er Jahren wurde Essen als autogerechte Stadt geplant, ausgebaut und ausgerufen. Es kommt nicht von ungefähr, dass wir die dritthöchste Anzahl an Autos pro Kopf haben. Mittlerweile sind in Essen über 340.000 Autos und Lastwagen zugelassen, zur Einordnung – es leben momentan ungefähr 590.000 Menschen in Essen. Das ist unser Startpunkt, mit diesen Vorbedingungen müssen wir arbeiten, wenn wir unsere eigens gesteckten Ziele im Verkehrsbereich, den Modal-Split, den Radentscheid ernst nehmen. Wir brauchen eine neue Erzählung, der die Menschen folgen können und der die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt auch folgen wollen.

Dafür müssen wir den Mehrwert greifbar und erfahrbar machen, den diese teilweise großen Umstellungen mit sich bringen. Die Leute müssen hören, wie leise Tempo 30 sein kann, die Leute müssen sehen, wie wohltuend entsiegelte Flächen wirken, die Menschen müssen merken, wie hoch die Lebensqualität in einer Stadt ist, die nicht auf den Autoverkehr, sondern auf die Bürgerinnen und Bürger ausgerichtet ist.

Mit Hilfe sogenannter Reallabore ist es möglich, diese Maßnahmen zeitlich begrenzt vorzustellen und zu erproben. Damit dieses Instrument aber auch seine Wirkung entfalten kann, müssen wir diese Projekte besser und vielschichtiger aufbauen. So haben wir in Holsterhausen den Bürgerinnen und Bürgern bisher nur gezeigt, dass die Stadtverwaltung in der Lage ist Verkehrsflächen zu sperren und dort Stadtmöbel aufzustellen, ohne Grün, ohne Verkehrsberuhigung und schon gar nicht mit der notwendigen medialen Begleitung. Letztendlich wurden schlichtweg Sitzgelegenheiten auf Parkplätzen platziert. Auf diese Weise, derart isoliert, verpufft eines der wichtigsten Instrumente der Stadtplanung. Aus diesem Grund wollen wir die nötigen Mittel bereitstellen und die entsprechenden Stellschrauben justieren, um das Prinzip der Reallabore in seiner gesamten Breite zu nutzen – nicht nur in Holsterhausen und in Rüttenscheid, sondern auch in Kray, Altendorf und Kettwig.

Wir brauchen in Essen endlich eine aktive Stadtraumgestaltung. Wir wollen Projekte auf Grundlage einer gestalterischen Idee verwirklichen – und nicht, weil ein Investor in einem Grundstück Potential sieht. Wir müssen weg von dieser Stadtplanung auf Zuruf.

Momentan kann unsere Planungsverwaltung diesem Anspruch nicht gerecht werden, dafür ist der Personalmangel viel zu groß – die Auftragsbücher sind voll. Diesen Umstand werden wir heute nicht ändern können, diesen Eindruck möchten wir auch gar nicht erwecken. Einerseits gibt das der gebeutelte Haushalt unserer Stadt nicht her, andererseits fehlen die notwendigen Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt, damit alle notwendigen Stellen besetzt werden können.

Wir können heute aber innerhalb der finanziellen und personellen Möglichkeiten die Weichen stellen, hin zu einer aktivierenden und sozialen Stadtplanung. Einer Stadtplanung, bei der Innenentwicklung immer vor geht, eine Stadtplanung, die Quartiere als Ganzes betrachtet und nicht nur von Grundstück zu Grundstück denkt. Einer Stadtplanung, die selbstbewusst ist.

Gleiches gilt für den Bau neuer Schulen. Die umfassend und akribisch ausgearbeiteten Schulentwicklungspläne aus dem Dezernat Al Ghusain und die darauf fußenden Realisierungsvorschläge des Geschäftsbereichs 7 haben in aller Deutlichkeit gezeigt, welche Mammutaufgabe hier vor uns liegt.

In der zurückliegenden Haushaltsdebatte hatte unsere Fraktion diesbezüglich eine massive Aufstockung des Personals gefordert, um die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit nicht zu groß werden zu lassen. Die müde Reaktion der Gestaltungskooperation war keine einzige neugeschaffene Stelle im Planungsbereich – keine einzige neue Stelle!

Heute steht ein Antrag von CDU und Grünen auf der Tagesordnung, fernab der Haushaltsanträge, weit weg vom Stellenplan für das Jahr 2023. Der Antrag fordert unter anderem die Prüfung einer Beschleunigung des Schulbaus, sogar eine Task-Force möge eingerichtet werden, die es übrigens schon längst gibt.

Genau dieses Spiel, meine Damen und Herren, dieses Taktieren, dieses Prüfen in Endlosschleife bringt uns keinen einzigen Schritt weiter. Dabei scheinen Sie jegliches Maß verloren zu haben. Wie sollen die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt denn nachvollziehen können, dass Sie dem Planungsbereich in diesem Jahr nur eine zusätzliche Stelle für die Realisierung von dringend benötigten Schulbauprojekten zuweisen, aber 8 Millionen Euro für einen Radweg auf Stelzen, die haben Sie übrig.

Der größte Feind einer sinnvollen Verkehrspolitik und eines effizienten Schulbaus sind im Moment nicht unsere Finanzen –  es ist vielmehr ihre Unfähigkeit zum Kompromiss, ihr ängstliches Festklammern an der eigenen Klientelpolitik meine Damen und Herren von der Gestaltungskooperation.

Wir fordern vier neue Stellen für die Realisierung von Schulraum und nicht die eigentlich notwendigen sechzig Mehrstellen. Wir bauen den Bürgerinnen und Bürgern keine Luftschlösser, wir machen keine falschen Versprechungen. Stattdessen schaffen wir qualitativ hochwertigen Schulraum.

Wir müssen uns endlich ehrlich machen und darauf fokussieren, dass die grundlegenden Prozesse in unserer Stadt funktionieren. Wir diskutieren gerade darüber, ob wir das Grugabad für einen Betrag zwischen 40 und 50 Millionen Euro in ein Ganzjahresbad ausbauen sollen. Wir haben noch nicht einmal genügend Bademeisterinnen und Bademeister, um die bereits vorhandenen Bäder im Stadtgebiet zu familienfreundlichen Öffnungszeiten offen zu halten. Im Sommer konnte der Großteil der Essener Freibäder aufgrund von Personalmangel nur eingeschränkt betrieben werden. Da müssen wir ansetzen – und nicht nach dem nächsten Prestigeprojekt schreien – in einer Zeit, in der uns sowieso schon die Baukosten um die Ohren fliegen.

In Anbetracht der explodierenden Energiepreise müssen wir vor allem unsere Sportvereine und Kultureinrichtungen über den Winter zu bringen, und sie nicht auf den horrenden Kosten sitzen lassen. Das sind wir nicht nur dem Ehrenamt und unserer Kreativszene schuldig, sondern der ganzen Stadtgesellschaft.

Auch im Schatten der großen Spielhäuser unserer Stadt besitzen wir mit den freien Künstlerinnen und Künstlern ein Kulturgut, eine Vielseitigkeit an Talent, das wir erhalten und fördern wollen – Damit sich alle Essenerinnen und Essener in einer breiten Kulturlandschaft wiederfinden können.

Gleichzeitig ist das Jahr 2023 ein geschichtsträchtiges Jahr. Ein Jahr, in dem uns die Geschichte angesichts der 90 Jahre zurückliegende Machtergreifung der Nationalsozialisten ermahnt. Eine Ermahnung und Erinnerung, die angesichts der Schüsse auf das alte Rabbinerhaus in der vergangenen Woche nicht eindringlich und deutlich genug ausfallen kann. Damit möglichst viele Menschen mit dieser Botschaft erreicht werden können, will sich auch das Haus der Geschichte digitalisieren. Dieses Bestreben unterstützen wir ausdrücklich, dieses Bestreben möchten wir fördern.

Führt man sich vor Augen, dass die Digitalisierung selbst in Museen und Kulturhäusern Einzug erhält, so ist der Stand der Digitalisierung, auf dem sich zuweilen die Essener Stadtverwaltung befindet, desaströs. Egal ob bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetztes oder bei der Einführung von Software- und Hardwarestandards über alle Geschäftsbereiche hinweg, wir hinken hinterher. Es ärgert mich, wenn die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt für die einfachsten Formalitäten einen Termin beim Amt machen müssen, anstatt diese bequem von zu Hause in vier bis fünf Klicks zu erledigen. Es ärgert mich, wenn innerhalb unserer Stadtverwaltung zig verschiedene Programmlizenzen zur Lösung ein und desselben Problems verwendet werden. Damit verbrennen wir nicht nur Geld, wir verschenken auch noch unfassbar viel Potential.

Manchmal ist es schwer zu begreifen, WIE VIEL Potential wir in unserer Stadt liegen lassen. Nehmen wir die Migrantenökonomie – ein völlig unterschätztes Feld. Jede fünfte Unternehmensgründung in Deutschland geht mittlerweile auf Menschen mit Migrationsgeschichte zurück. Die neu gegründeten Firmen liefern unter anderem durch die Schaffung neuer Arbeits- und Ausbildungsplätze einen wichtigen Beitrag zum Wirtschaftsstandort Essen. Gleichwohl haben sie mitunter durch eine fehlende Vernetzung oder unzureichenden Zugang zu Finanzdienstleistungen mit einer vergleichsweise hohen Insolvenzquote zu kämpfen.

Dieses Problem ist bekannt, dieses Problem ist lösbar, beispielsweise in Form einer angepassten Beratung und Unterstützung durch die Essener Wirtschaftsförderung. Wir wollen die entsprechenden Maßnahmen etablieren, dadurch langfristig sichere Arbeitsplätze in unserer Stadt schaffen und einen wichtigen Beitrag zur Integration und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten.

Weitere ungenutzte Potentiale liegen auf den Dächern unserer Stadt. Dort könnten vielerorts Photovoltaikanlagen günstigen und grünen Strom produzieren. Oftmals sind die Dächer unserer Stadt jedoch verwaist, besonders häufig im Essener Norden. Blickt man sich die Verteilung der Inanspruchnahme der Fördermittel an, so sieht man ein erhebliches Ungleichgewicht. Die Gründe dafür sind vielschichtig, die Konsequenz ist immer die gleiche, wir verschenken Potential auf dem Weg zur Klimaneutralität.

Dieser Umstand ist besonders bitter, ist doch die Innovation City Bottrop, der Vorreiter bei der Förderung von Solarenergie, nur einen Steinwurf entfernt. Wir fordern breiter angelegte Förder- und Beratungsangebote, von denen die Menschen im gesamten Stadtgebiet profitieren. Ansonsten bleiben die ehrgeizigen Klimaziele unserer Stadt unerreicht.

Das Positive an ungenutzten Potentialen ist, dass sie Raum für Entwicklung, die Gelegenheit zur Korrektur geben. Diese Möglichkeit möchten wir auch in Bezug auf bestimmte Orte in unserer Stadt nutzen. Jede Essenerin und jeder Essener kennt diese Orte, diese Ecken in Essen, in der man sich ungern aufhält, schon gar nicht nachts. Die Momente, wenn man froh ist, einen Straßenzug weiter zu sein oder den Nachtexpress herbeisehnt. Ich spreche von sogenannten Angsträumen.

Solche Angsträume sind in einer deutschen Großstadt keine Seltenheit, aber sie sind auch kein Naturgesetz und sie sind vor allem veränderbar. Die Stadt Wuppertal hat es vorgemacht und eine wirklich fiese Ecke in einen beliebten Treffpunkt umgewandelt. Mit Hilfe einer offenen und aufgelockerten Architektur, durch Beleuchtung und den intensiven Austausch mit den Menschen, die sich in den Angsträumen aufhalten. Denn oftmals haben die Menschen, die sich an diesen Orten vermehrt aufhalten und von Passanten als Bedrohung wahrgenommen werden, selbst Angst.

Es reicht also nicht aus, einen Platz einfach nur zu verschönern. Wir wollen die Menschen, die sich auf dem Platz aufhalten, die teilweise dort ihren Lebensmittelpunkt haben, genauso in die Gleichung miteinbeziehen, wie die Menschen, die es sich leisten können, diesen Platz zu meiden.

Aus diesem Grund ist es uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten auch ein Anliegen, die aufsuchende Sozialarbeit und die Suchthilfe vor Ort zu stärken. Wir wollen auf die Menschen zugehen, auf Menschen die mitunter zu stolz sind oder auch einfach nicht mehr die Kraft haben, sich Hilfe zu suchen. Hier müssen wir als Gesellschaft Verantwortung übernehmen.

Das macht soziale Politik aus und das ist die Grundlage für eine gerechte Stadt. Wenn Sie der Ansicht sind, wir tun schon längst genug, wir hätten unseren Auftrag als Gesellschaft erfüllt, dann möchte ich Ihnen jetzt folgende Fragen stellen.

Wer glaubt denn, es macht in Essen keinen Unterschied, ob man reich oder arm ist? Wer glaubt ernsthaft, es macht keinen Unterschied, ob man jung oder alt ist? ob man mit Handicap lebt oder ohne?

Es macht einen gewaltigen Unterschied!

Das werden wir nicht über Nacht ändern können, nicht innerhalb dieser Haushaltsdebatte, schon gar nicht mit einem Finanzplan, der auf ein Jahr angelegt ist. Aber wir können heute die Richtung vorgeben, in die wir als Gesellschaft wollen. Wir können heute die ersten Meter machen, hin zu einer Stadt der Innovation, der Offenherzigkeit, der Klimaneutralität, wir können heute die ersten Meter machen auf dem Weg zu einer gerechten Stadt – Ganz ohne Populismus, ohne falsche Versprechungen, ohne neue Schulden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb möchte ich Sie heute um Zustimmung zu den Anträgen der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten bitten, damit wir die ersten Meter gemeinsam gehen können.

Ich bedanke mich zum Jahresende ganz herzlich bei meiner Ratsfraktion und der Geschäftsstelle für die tolle geleistete Arbeit im Sinne der Menschen in unserer Stadt und ich danke gleichermaßen auch allen Beschäftigten der Stadt Essen und aller Beteiligungen für ihren unermüdlichen Einsatz in diesen Zeiten.

Vielen Dank und Glück auf!