„Das Ruhrgebiet als Hotspot der Talente!“

Woran denkt man zunächst beim Thema Bildungsbenachteiligung in der Integrationspolitik? Die Überrepräsentation von Jugendlichen mit Migrationshintergrund an Haupt- und Sonderschulen, der höhere Anteil ebendieser ohne Hauptschulabschluss, statistisch betrachtet geringere Schulabschlüsse, höhere Wiederholerraten – zusammenfassend also das schlechtere Abschneiden im Vergleich zu Kindern respektive Jugendlichen ohne Migrationshintergrund.

Bei der gestrigen Veranstaltung der AG Migration und Vielfalt der SPD Essen zum o.g. Thema wurden diese Defizite allesamt aus unterschiedlichen Perspektiven erörtert.
Deutlich wurde, dass die vorhandenen Potenziale von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund viel zu selten ausgeschöpft werden. So sind „begabte und hochbegabte Migranten in Deutschland eine unerkannte Gruppe, der Anteil von Schülern und Studenten in Hochbegabtenförderprogrammen zu gering, was gleichzeitig die Kultur der Bescheidenheit bei der Migrantenbevölkerung in Bildungsfragen manifestiert“, so der wissenschaftliche Direktor und Leiter des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung, Herr Prof. Dr. Uslucan, den wir als Referenten begrüßen durften.

Die negativen Folgen der Verkennung von Begabungen schaden sowohl dem Individuum als auch der Gesamtgesellschaft. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels in den nächsten Jahren und Jahrzehnten müssen die verschiedenen Ressourcen erkannt und gefördert werden. Dazu bedarf es einer „anderen Organisation von Schule, weg vom Frontalunterricht, hin zu mehr individueller Förderung – im besten Fall mit nur einer Schulform für alle Schülerinnen und Schüler“, plädierte Arno Klare, Bundestagskandidat der SPD für den Wahlkreis 118. Auch Herr Dr. Schweitzer, Leiter der RAA/Büro für interkulturelle Arbeit der Stadt Essen, betrachtet das mehrgliedrige Schulsystem als überholt an. Zudem sei Deutschland im Lehrerkorpus „kein Einwanderungsland“, was er in Zahlen bestätigte. 50% der Grundschüler in Essen hätten einen Migrationshintergrund, jedoch nur 2% der Lehrer.

Er sieht seine Institution im Zuge der Veränderung als baldiges kommunales Integrationszentrum mehr denn je in der Rolle, „einen ganzheitlichen Bildungsbegriff mit dem Schwerpunkt der kulturellen Bildung in den Fokus zu setzen“.

Wie Förderung aussehen kann, belegten am gestrigen Abend zwei Beispiele.
Frau Ruth Spiegel, Sozialarbeiterin und Lehrkraft an der Nelli Neumann Schule – die einzige städtische Förderschule in Essen, mit dem Förderschwerpunkt soziale und emotionale Entwicklung – bekräftigte, dass individuelle Förderung das beste Mittel sei, „ob am unteren Ende des Leistungsspektrums oder ganz oben“.

Herr Suat Yilmaz, Talentförderer an der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen, bezeichnete „Bildung als einen überaus wichtigen Standortfaktor“ und skizzierte eine systemische Schieflage, in denen die verschiedenen Akteure und Institutionen viel zu selten „miteinander reden würden“. Unabhängig vom Migrationshintergrund sucht er Talente unmittelbar auf, in Berufsschulen bspw., und informiert diese über die Studienmöglichkeiten an der Hochschule. Die Zahlen aus Gelsenkirchen sind beeindruckend. 60% der Studenten an der Westfälischen Hochschule kommen von den Berufsschulen und wagen den akademischen Weg – man ist gleich überzeugt, wenn er vom „Ruhrgebiet als Hotspot der Talente“ spricht.